Anti-Facebook ist im Trend. Die Demokratie sei bedroht, warnt jetzt auch der Economist. Die laufende Debatte ist ein guter Zeitpunkt für eine Standortbestimmung. Im November 2017 organisiert das Bundesamt für Kommunikation die erste Konferenz «Digitale Schweiz». Nutzt der Bundesrat die Chance, neue Spielregeln für Social Media zu fordern und eine «digitale Tradition» der Schweiz zu begründen?
Die US-Wahlen haben die dunklen Seiten von Facebook & Co schonungslos aufgedeckt. Vor dem Coup von Trump war Social Media eine Chiffre für mehr gesellschaftliche Freiheit. Jetzt hat der Wind gedreht: Facebook und Twitter sind eine Bedrohung für die Demokratie geworden, wie der Economist titelte. In ihrer Schlagkraft werden sie als eine Art Masseninformationswaffen behandelt, die es zu bändigen gilt.
Ist Social Media ein Angriff auf die Demokratie? Nein. Die Plattformen sind lediglich ein strategisch wichtiger Kampfplatz von politischen Kampagnen geworden. Die Debatte über Chancen und Risiken von Facebook und Twitter lässt sich gut mit dem «Hype Cycle» beschreiben. Die Kurve wurde 1995 von der Analystin Jackie Fenn entwickelt, um die wechselnde Wahrnehmung von Informationstechnologien zu beschreiben. Neue Themen wie VR-Brillen, das Internet der Dinge oder Plattformen wie Snapchat werden zunächst als Durchbruch gefeiert. Auf den Hype folgt die Ernüchterung, weil die Lösung die grossen Versprechen nicht erfüllen kann.
Im Silicon Valley herrscht Katerstimmung. Die Nachwirkungen der US-Wahlen haben Social Media ins «Tal der Enttäuschung» zurückgeworfen. Facebook und Twitter waren auf dem aufsteigenden Ast und in der politischen Mechanik nicht mehr wegzudenken. Schlagworte wie Fake News und Filterblasen haben jedoch vielen Fragen, die schon länger diskutiert wurden, eine neue Brisanz gegeben. Im Kern geht es um das höchste Gut für politische Aushandlungsprozesse: Vertrauen.
Konferenz «Digitale Schweiz»
Die Zeit ist reif, Social Media in die Politik einzubetten und die Spielregeln zu ändern. Gerade die Schweiz hat das höchste Interessen, in Sachen Facebook & Co. die Zuschauerbank zu verlassen und das Spielfeld zu betreten. Am 20. November 2017 wird in Biel die erste nationale Konferenz «Digitale Schweiz» des Bundes stattfinden. Die Konferenz, die seit Monaten ausgebucht ist, will über die Informationsgesellschaft reflektieren und Handlungsoptionen diskutieren.
Ich freue mich, dass ich beim Diskussionspanel mit dem etwas kryptischen Titel «Digitale politische Gouvernanz» dabei sein darf. Als ein Vertreter der Zivilgesellschaft möchte ich gerne darüber diskutieren, welche Rahmenbedingungen für Social Media nötig wären. Klar ist: Wir stehen erst ganz am Anfang der digitalen Demokratie, in der Plattformen eine grosse Rolle für den Meinungsbildungsprozess spielen werden.
Öffentliche Schnittstelle für Social Media
Twitter und Facebook haben auf den öffentlichen Druck reagiert und Massnahmen vorgestellt, um die Transparenz bei politischen Kampagnen zu erhöhen. Doch diese Schritte gehen nicht weit genug. Um den blinden Flecken auszuleuchten, fordern der Internetaktivist Wael Ghonim und der Wissenschaftler Jake Rashbass einen öffentlichen Zugriff auf die Daten vom Plattformen. Sie sprechen von einer Schnittstelle, die in Echtzeit einen Einblick liefert über die Informationen, die in einem Netzwerk geteilt werden.
Solche Schnittstellen sind gängige Software-Praxis, um den Zugriff Dritter auf Informationen zu erlauben. Ein Beispiel dafür ist Google Maps. Das Kartenwerkzeug liefert über eine Schnittstelle beispielsweise Wegbeschreibungen. Der Vorteil ist, dass der Algorithmus selbst, der oft als Geschäftsgeheimnis gilt, nicht aufgedeckt wird, sondern nur bestimmte Informationen.
Die «Public Interest API» hat die Aufgabe drei Datenkategorien offen zu legen, um eine Art Rechenschaftsmechanismus in die Social Media-Plattformen einzubauen:
Erstens sollte die Schnittstelle alle öffentlichen Beiträge dokumentieren. Diese Daten müssten Angaben über Reichweite und Interaktionen sowie eine demographische Aufschlüsselungen enthalten. Auf diese Weise liesse sich verhindern, dass Parteien verdeckte Kampagnen fahren oder Netzwerke enttarnen, welche mit Bots automatisch Nachrichten verbreiten.
Eine «Public Interest API» sollte zweitens transparent machen, wer Werbung schaltet, welche Zielgruppen angesprochen werden und welche Inhalte angezeigt werden. Diese Massnahme würde verhindern, dass «Micro-Targeting» und «Dark Ads» für politische Schmierkampagnen eingesetzt werden.
Die dritte Gruppe von Daten wären zensierte Inhalte. Alle Social Media-Plattformen haben Nutzungsbestimmungen, die festhalten, welche Inhalte zensiert werden. In der Praxis verteilen Algorithmen «verbotene» Beiträge, bevor sie entdeckt und entfernt werden. Umgekehrt werden Inhalte auch automatisch gelöscht, weil sie potentiell die Nutzungsregeln tangieren. Für Kritik gesorgt hat die Sperrung eines berühmten Fotos aus dem Vietnam-Krieg, das Facebook als Kinderpornografie eingestuft hat.
Daten als Treibstoff für Plattformen
Eine «Public Interest API» ist für mich der bisher beste Vorschlag, die Dynamik von Social Media für die Demokratie zu nutzen, ohne die Problemzonen ausblenden. Die Transparenz ist der erste Schritt, um auch eine öffentliche Debatte über die Daten zu führen, die letztlich der Treibstoff für das Plattformgeschäft sind.
Bei den Daten stehen wir ganz am Anfang. Dies zeigt auch das Merkblatt für digitale Kampagnentools, das der Schweizerische Datenschützer im Oktober 2017 veröffentlicht hat. Immerhin hält Adrian Lobsiger fest, dass die Informationen aus Social Media-Plattformen in die Kategorie der besonders schützenswerten Personendaten fallen. Interessant dabei: Das umstrittene «Social Matching» bleibt in der Schweiz, anders als etwa in Frankreich, zulässig.
Digitale Tradition der Schweiz
Das Timing für die Digitale Konferenz könnte für den Bundesrat nicht besser gewählt sein, um neue Spielregeln für Social Media zu fordern. Noch im Mai 2017 hat die Regierung festgehalten, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Bedarf für neue Regulierungsmassnahmen bestehen würde. Gleichzeitig hat sich der Bundesrat alle Optionen offen gelassen: «Die nationalen und internationalen Entwicklungen sind jedoch zu beobachten und es ist zu analysieren, ob der bestehende Rechtsrahmen zusammen mit den Instrumenten der Selbstregulierung genügt oder ob darüber hinaus weitere staatliche Regulierung notwendig sein wird.»
Ich hoffe, dass Doris Leuthard als Bundespräsidentin und Vorsteherin des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), die Chance nutzt, um die politische Initiative zu ergreifen. Als gelebte Demokratie könnte die Schweiz eine neue, digitale Tradition begründen, die sogar internationale Ausstrahlung hat.
Daniel Graf und Maximilan Stern