Die politischen Institutionen der Schweiz reagierten bisher träge auf die Digitalisierung der direkten Demokratie. Nicht bremsen lässt sich hingegen der Wandel in der Peripherie von Parteien, Verbänden und Interessenorganisationen.
Wie bei der Vaterschaftsurlaubs-Initiative, dem Referendum gegen Versicherungsdetektive oder jüngst bei der Korrektur-Initiative erleben wir eine «demokratischen Frühling»: Bürgerinnen und Bürger nutzen das Internet und die sozialen Medien, um in ihrem Freundeskreis für Anliegen zu werben, mittels Kleinspenden die Finanzierung zu sichern oder um einer Kampagne Momentum zu verleihen. Dieses Engagement ist keine Online-Folklore an den Rändern der demokratischen Auseinandersetzung, sondern rückt immer stärker ins Zentrum der politische Arena.
Politisches Momentum mit Crowd-Kampagnen
Um Phänomene im Netz zu beschreiben, deren Triebkraft aus einer Verknüpfung von Einzelpersonen, Netzwerken und Plattformen entsteht, wird gerne der Begriff «viral» verwendet. Er beschreibt einen Prozess, der sich, ausgehend von einem Punkt, sprunghaft multipliziert und in kurzer Zeit eine grosse Gruppe erreicht.
Statt auch im Politikbereich von «viralen Phänomen» zu sprechen, möchte ich einen anderen Begriff einführen, der in meinen Augen geeigneter ist, die Dynamik im politische Feld zu erläutern. In Anlehnung an das bekannte Finanzierungsmodell «Crowdfunding», bei dem zahlreiche Personen mit kleinen Beiträgen ein Projekt ermöglichen, sprechen wir deshalb von «Crowdcampaigning».
Das englische Wort «Crowd» bezeichnet eine Menschenmasse, die etwas spontanes, chaotisches, ja unberechenbares an sich hat. Sie fällt auf, indem sie sich im öffentlichen Raum breit macht und hat durch die ihre - oft lautstarke - Präsenz eine Anziehungskraft, der sich nur wenige entziehen können. Selbst wer ausweicht und die Strassenseite wechselt, möchte wissen, was die Menschen zusammengebracht hat. Denn der Treffpunkt ist nicht vor einer Bühne: Die Anwesenden sind selbst Hauptdarsteller und zugleich das eigene Publikum.
Erfolgreiche Crowd-Kampagnen können – wie im Fall von Referenden und Initiativen – durchaus Mischformen von Grassroots-Bewegungen und etablierten Akteuren sein, die sich temporär für Abstimmungen oder Wahlen verbünden. Entscheidend für das Momentum solcher Kampagnen bleiben oft die klassischen Medien, die durch ihre Berichterstattung die Sichtbarkeit über die Social-Media-Kanäle hinaus erhöhen und auf diese Weise für der Kampagne die nötige Anziehungskraft verschaffen, die einen wichtigen Teil zur Dynamik von Crowd-Kampagnen beiträgt.
Mehr dazu, wie Crowd-Kampagnen die Spielregeln verändern, gibt’s im in unserem Buch «Agenda für eine digitale Demokratie» (NZZ Libro 2018).